Karosseriebau

Hans Neuer wurde 1921 durch seinen Bruder, der in Burgrieden ein Friseur­geschäft hatte, auf die Firma Steiger aufmerksam. Zum Kundenkreis des Friseurs gehörte auch Walther Steiger. Dort kam es zwischen dem Fabrikanten und dem begabten Karosseriebauer zu einem entscheidenden Gespräch.

Im Frühjahr 1921 übernahm Hans Neuer die Leitung des Karosseriebaus bei Steiger. Auf Grund seiner Erfahrungen, die er bei der bekannten österreichischen Karosseriefabrik ÖFFAG in Wiener-Neustadt gesammelt hatte, gelang es ihm, dem Steiger-Wagen ein elegantes und schnittiges Aussehen zu verleihen.

Hier eine Auswahl von Fahrzeugen mit dem ersten Kühler. Optisch könnte hier Bugatti Pate gestanden haben. Oder war diese Form noch vom Jugendstil beeinflußt?

Frau Bossert betrachtet das neue Auto bei der Abholung im Hof der Firma Steiger.

Das neue Fahrzeug der Familie Bossert wurde abgeholt, um die Karosserie musste sich der Kunde selber kümmern.

Nachdem das Chassis der Familie Bossert vom Karosseriebauer bearbeitet war, konnte sich das Ergebnis sehen lassen.

 

Walter Bossert mit den Eltern im Fond beim ersten Ausflug.

Karosserieplan für einen Steiger Sport mit drei Sitzen.

Um auch die Passagiere im Fond vor Staub und Schmutz schützen zu
können, wurde eine zweite Windschutzscheibe angeboten.

Einer der ersten Steiger Sportwagen, als Zweisitzer karosseriert.


Hans Neuer gestaltet den neuen Kühler

Im Jahr 1921 bekamen die Steiger-Wagen anstelle des bisherigen spitzbogenförmigen Kühlers mit markant schlanker Form und scharf vorspringender Nase, einen eckigeren und kraftvollen Kühler. Der erste Kühler kam aus der Zeit des Jugendstils. Nun wurde der Art-Déco bestimmend. Die hervorkragende Nase an der Oberseite des Kühlers wurde weiter herausgearbeitet. Das Gesicht des Steiger-Wagens bekam dadurch eine sehr eigene und charakteristische Note. Diese Kühler wurden dann von der Firma Julius Fr. Behr in Stuttgart gefertigt.

Die Kühler wurden von Behr aus Messingblech gefertigt und stets in Wagenfarbe lackiert.  Bei dem heute noch existierenden Steigerfahrzeugen wurden die Kühler bei älteren Restaurationen vom Lack befreit und das Messingblech polliert.

Wären in den 1920er Jahren die Fahrzeuge mit pollierten Messingkühler angeboten worden, wäre dies nicht besonders Verkaufsfördend gewesen. Die Kunden wollten ein modernes Auto, die Messingäa der 1900 - 1910er Zeit war vorbei und ein pollierter Messingkühler wäre altmodisch gewesen.

Der neue von Hans Neuer entwickelte Kühler verlieh dem Fahrzeug mehr optische Präsenz. Die modernere Form suggerierte dem Betrachter auch mehr Leistung. Stand hier vielleicht der Stuttgarter Autobauer Pate ? Durch Hans Neuers Eintritt in die Firma im Frühjahr 1921 wurde in Neu-Ulm im Gebäude Kanonierstraße 37, als Kammergebäude bekannt, der eigene Karosseriebau von Steiger eingerichtet. Die Leitung des Betriebes wurde Hans Neuer übertragen. Seine Tätigkeit bei Steiger dauerte drei Jahre, dann verließ Hans Neuer nach einem heftigen Streit den Betrieb.

Im Jahr 1924 gründete Hans Neuer mit dem Ulmer Ernst Thieme eine Karosseriefabrik in Ulm-Söflingen. Die neue Firma wurde unter dem Namen Neuer & Thieme im Handelsregister eingetragen.

 

Ein Steiger 10/50 PS, aufgenommen für Werbezwecke, vor der Kulisse Burgriedens.

 

Der neue offene Steiger 11/55 PS wie er von Neuer & Thieme karosseriert wurde.

 

Hier mit Wechselkarosserie.

Ein Steiger 11/55 PS mit einem Radstand von 3250 mm vor dem Karrosseriewerk in der Söflinger Straße 100 in Ulm.

Heute befindet sich in dem Gebäude, das den Namen „altes Röhrenwerk“ trägt, ein Industriepark.

Steiger 11/55 PS Tourenwagen mit Wechselkarosserie (Hardtop) von 1925 karosseriert von Neuer & Thieme.

Ansicht des Einstieges im Fond mit ausgeklappten Sitzen. Unten der Schriftzug am Einstieg.

Werbeannonce der Fa. Neuer & Thieme 1925 und 1926.

Die Karosserien, die nach der Kündigung von Hans Neuer im Steiger-Werk in Neu-Ulm hergestellt wurden, sollen wenig befriedigend ausgefallen sein. Ein Grund, die Fabrikation bald wieder einzustellen. Nunmehr vergab man die Aufträge an das neu gegründete Karosseriewerk Neuer & Thieme in Ulm.

Nachdem die Firma Steiger im Jahr 1926 liquidiert worden war, musste die Firma Neuer & Thieme im Jahr 1928 infolge fehlender Aufträge Konkurs anmelden. Im Jahr 1928 wurde die Karosseriebaufirma von dem Ulmer Karosseriebauer Karl Kässbohrer übernommen. Heute zählt Kässbohrer, jetzt EVO - Bus, nach Übernahme durch Daimler-Chrysler zu den größten Omnibusherstellern in Deutschland.

Nach dem Konkurs von Neuer & Thieme kehrte Hans Neuer zu seinem alten Dienstherren Walther Steiger zurück. Dieser hatte sich in der Zwischenzeit in St. Blaise in der Westschweiz beim Autohersteller Martini niedergelassen. Dort wurde Hans Neuer erneut mit der Herstellung von Karosserien betraut.

In Biberach an der Riß wurde im Jahr 1921 ein weiterer Karosseriebetrieb eingerichtet. Im „Biberacher Steiger-Werk“ war ein Teil des damaligen firmeneigenen Karosseriebaus untergebracht. Eröffnet wurde dieser Betrieb im Jahr 1921. Genaue Eintragungen im Katasteramt wurden auf den 30. Oktober 1922 datiert. Aus den Bauunterlagen ist ersichtlich, dass Räume speziell für bestimmte Arbeitsbereiche ausgelegt waren. Neben einer Lackiererei, Schmiede und Spenglerei gab es Räume für die Karosserie-Montage sowie eine Sattlerei und Kofferbau.

Wie Herr Hugo Häußler, ein ehemaliger Mitarbeiter berichtete, wurden in Biberach spezielle Karosserieteile hergestellt. Er erinnerte sich nur noch an die Produktion von Kotflügeln. Herr Otto Rupf-Bolz aus Stuttgart berichtete, dass der Betrieb von einem Herrn Weber aus Heilbronn, von Beruf Karosserietechniker, geführt wurde. Etwa 50 Facharbeiter fanden hier Arbeit. Bis zum großen Streit zwischen Walther Steiger und Hans Neuer wurden die gefertigten Kotflügel, Koffer und Karosserieteile zur Montage nach Neu-Ulm geliefert. In Biberach befindet sich heute auf dem ehemaligen Gelände des Karosseriebaus ein Kaufhauskomplex mit Tiefgarage. Im Volksmund ist dieser Komplex heute noch als „Steiger-Lager“ bekannt.

Betriebswirtschaftlich gesehen, war es höchst ineffizient, zwei Karosserie­betriebe gleichzeitig zu unterhalten. Die Entfernung von Burgrieden ins Werk Neu-Ulm waren etwa 25 Kilometer Richtung Norden. Der Biberacher Karosseriebetrieb lag ca. 20 Kilometer in südlicher Richtung.

Die Stuttgarter Karosseriefabrik Reutter Karosserie stellte für Steiger­Kunden ebenfalls gefällige Karosserien her. Das Werk wurde 1906 von Wilhelm Reutter gegründet. Nach dem Eintritt von Albert Reutter wurde dort der Vorgänger des heutigen Cabrios patentiert (Reutters Reform Karosserie), später wurden Aufbauten in Serie und Prototypen für fast alle namhaften Automobilhersteller der Zeit (eben auch Steiger) hergestellt u. u.a. die Prototypen des Volkswagens karosseriert. Nach dem Krieg produzierte Reutter einen Großteil der Karosserien für den Porsche 356 und das Karosseriewerk wurde 1963/64 dann schließlich von Porsche übernommen. Die Sitzfertigung wurde davon ausgenommen, und unter der Abkürzung des Firmennamens wurden seitdem Sitze unter dem Namen RECARO (1957 gegründet) hergestellt.

2007 ist ein Buch über die Firma Reutter erschienen (ISBN 3-7688-1829-2), vom Autor Frank Jung stammt auch das folgende Foto.

Steiger 10/50 PS karosseriert von Reutter in Stuttgart.

Wir kennen die Steiger Fahrzeuge nur von schwarz /weiß Bildern, so ist um die Farbgebung etwas schwer zu beschreiben. Es ist aber anzunehmen, dass der Kunde auch beim Karosseriekleid seine Lieblingsfarbe wählte. Das Lackieren war reine Handarbeit. Ein Spritzen von Lacken, wie es heute üblich ist, war noch nicht im Automobilbau angekommen. Die Lacke wurden mit breiten Pinseln gleichmäßig aufgetragen. So war die „Handschrift“ des Lackierers hier zu sehen und es war buchstäbliche Handarbeit.


Ansichten einer Karosserie von der Darmstädter Karosseriefirma Autenrieth.

Wie das Design im Karosseriebau ausarten kann, zeigt dieses Foto mit schräg nach oben abstehenden Kotflügeln, von der Darmstädter Karosseriebaufirma Autenrieth.