Die Appretur mit Färberei

Zum Betreiben einer Appretur und Färberei waren mehrere technische und topographische Voraussetzungen notwendig: Zunächst bedurfte es einer Fabrikhalle für die Unterbringung der Maschinen. Weiter musste sehr weiches Wasser in ausreichender Menge vorhanden sein. Für den Antrieb der Maschinen und Apparate fehlte noch eine Energiequelle, z.B. Wasserkraft. So waren Wasserrechte und Bauland an einem Fluss notwendig.

Fast alle Bedingungen fand Ulrich Steiger sen. 24 km südlich von Ulm in der Ortschaft Burgrieden vor. Die Sägerei und Mühle des Johannes Weinbuch war eine gute Grundlage für Ulrich Steiger sen. Projekt. Das große Gelände der Sägemühle und benachbarten Parzellen, insgesamt etwa 200.000 Quadratmeter groß, sowie die vorhandenen Wasserrechte an der Rot begünstigten das Vorhaben. Die Rot führt durch morastiges Gebiet, das Wasser ist sehr weich und deshalb besonders gut geeignet für das Bleichen und Färben von Stoffen.

In diesem Mühlengebäude begann die Familie Steiger mit der Appretur. (Es steht heute noch!)

Die Mühle wurde im Jahre 1856 von Johannes Weinbuch gebaut und an Ambrosius Locher verpachtet. Die Genehmigungsurkunde für die Wasserrechte wurde im Jahre 1902 ausgestellt.

Das bestehende Mühlengebäude an der Rot war damals mit vier Mühlrädern für den Mühlen- und Sägereibetrieb ausgestattet. Das Gebäude - das übrigens heute noch steht - beherbergte damals Wohnung, Mühle und Stall. Daneben waren noch zwei Gebäude für den Sägebetrieb und die Landwirtschaft vorhanden. Diese mußten Ulrich Steigers Vorhaben weichen und wurden abgerissen.

Im Jahr 1906 kaufte Ulrich Steiger sen. die Mühle. Die Nachbargrundstücke wurden nach und nach angepachtet und später dazugekauft.

Die Söhne Walther und Oskar wurden für die Appretur und Färberei verpflichtet. Walther Steiger übernahm die Leitung des Betriebs. Was Oskar Steiger, der Kapitän bei der Schweizer Handelsmarine war, im Betrieb zu tun hatte, ist nicht bekannt. Im Grundbuch war er als Eigentümer des östlichen Nachbargrundstücks eingetragen. Bauherr der Fabrikhalle und der Turbinenanlage mit Fallenstock war Ulrich Steiger sen. Alle Baugesuche, Pläne und Grundbucheintragungen lauteten auf seinen Namen.

Beim Bau des Fabrikgebäudes hatte man sehr viel Glück, denn einige Meter flussaufwärts begann ein sehr morastiges Gelände. Das Fundament der Fabrikhalle fand noch festen Untergrund. Die Halle wurde eingeschossig mit Backsteinen errichtet, der Grundriss ist fast quadratisch. Der großflächige Teil der Halle wurde mit einem Scheddach bedeckt. Das angebaute  höhere Turbinen- und das Kesselhaus, bekamen Sattel- bzw. Spitzdach. Das Kesselhaus ist heute noch fast im Originalzustand erhalten. Es zeichnet sich durch drei hohe, schmale Rundbogenfenster aus. Die gesamte bebaute Fläche misst ca. 16.000 Quadratmeter.

Für die Turbinenanlage musste der Fallenstock etwa 100 Meter flussaufwärts erneuert werden. Die Rot wurde angestaut und geteilt in einen Arbeits- und einen Überlaufkanal, die an den Firmengebäuden vorbeiführen. Die Stauhöhe des Wassers beträgt ca. 4,90 Meter mit einer der Sekunde. Zwei Heidenheimer Voith-Turbinen setzen die Fließgeschwindigkeit von 1.350 Litern in der Sekunde. Die Turbinen setzten die angestaute Wasserenergie in mechanische Energie um. Über lange Wellen wurde der Transmissionsriemenantrieb in die Fabrikhalle befördert und auf die Maschinen übertragen. Ehemalige Mitarbeiter beschrieben, daß die Transmissionsanlage ungeheuren Lärm produzierte. Für die Instandsetzung der Antriebsriemen wurden bis zu drei Sattler beschäftigt. Da die beiden Voith-Turbinen nicht für alle Maschinen und Fabrikhallen ausreichten, wurden zwei große Sauggasmotoren für die Energiegewinnung hinzugezogen. Mit selbst erzeugtem Kohlegas wurden die mächtigen Motoren betrieben. Die Leistung betrug ca. 380 PS. Da in der damaligen Zeit niemand an Lärmschutz dachte, dämpfte man die Motoren nicht gegen die auftretenden Lauf- und Explosionsgeräusche. Das monotone Pochen und Stampfen war im ganzen Ort zu hören. Wenn die Motoren einmal ausfielen, fehlte den Bewohnern das gewohnte Geräusch geradezu. Später wurden statt der Transmission Generatoren eingebaut. Durch die über die Transmission angetriebenen Elektrogeneratoren wurde ab 1910 das ganze Rottal bis nach Schwendi mit elektrischem Strom versorgt, als erstes jedoch die Dorfkirche in Burgrieden. Burgrieden war noch vor Laupheim und Schwendi mit elektrischer Straßenbeleuchtung ausgerüstet.

Panoramaaufnahmen aus den Jahren um 1916

Der Appretur- und Färbebetrieb konnte im Jahr 1907 eröffnet werden. Firmenchef Walther Steiger war neben seiner Tätigkeit als Chemiker sehr stark an der Technik interessiert. So tüftelte er an vielen im Betrieb befindlichen Maschinen herum und verbesserte oder erleichterte dadurch die Bedienung von Appretur- und Färbemaschinen. Hauptaufgabe von Walther Steiger war jedoch die Leitung des Betriebes und nicht das Erfinden. Am kaufmännischen Bereich seiner Firma soll er nie besonderes Interesse gezeigt haben.

Beispielhaft waren auch die sozialen Einrichtungen von Walther Steigers Unternehmen: So gab es eine eigene Gärtnerei, welche die Mitarbeiter und deren Familien immer mit frischem Gemüse und Obst versorgte. Eine werkseigene Musikkapelle sorgte bei Jubiläen und sonstigen Festen für Stimmung.

Ebenso wurde eine eigene Betriebsordnung erstellt und gedruckt, die jeder Mitarbeiter strikt zu befolgen hatte. In der Sozialordnung war die genaue Arbeitszeit festgelegt, ebenfalls eine Urlaubsordnung. Verstöße gegen diese Vorschriften wurden mit Bußgeldern oder sogar mit Kündigung geahndet.

Luftaufnahme vom Steigerwerk, links die Straße von Laupheim.

Der Betrieb in Burgrieden firmierte während seines Bestehens unter mehreren Namen, auch die Geschäftsform änderte sich öfters: Die erste Firmenbezeichnung der Firma lautete Maschinenfabrik Walther Steiger & Cie. Am 1. Juni 1921 wurde die Firma Steiger zur Aktiengesellschaft umgewandelt. Das Grundkapital betrug damals 10 Millionen Reichsmark, eingebracht von Walther Steiger, Robert Steiger, Oskar Steiger, Otto Steiger und der Viktoria Zement- und Kalkwerke AG, Frankfurt/Main.

Der Aufsichtsrat wurde gebildet von Walther, Ulrich und Otto Steiger sowie Hans Adeneuer. Den Vorstand stellten Direktor Oberingenieur Paul Henze und Oskar Steiger.

Erste Aktie aus dem Jahr 1921.

Neben der Aktiengesellschaft existierte auch eine Steiger Vertriebsgesellschaft mit Vertretungen in Aachen, Berlin, Bielefeld, Dresden, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, Magdeburg und Stuttgart.

Zweite Serie der Aktien von 1923.

Im Jahr 1914 wurde zu der Appretur Walther Steiger die Kiesel-Rad-Werke Walther Steiger & Cie. gegründet. Die Firma stellte federnde Automobilräder nach dem Patent "Kiesel" her, später "Steiger-Räder".

Als Reparationsleistung montierten die Alliierten 1945 die damals noch intakten Generatoren samt Turbinen ab. Eine neue Turbinenanlage wurde später wieder installiert. Die Elektrogeneratoren liefern bis heute eine Leistung von ca. 100 Kilowatt oder etwa 140 PS an das öffentliche Stromnetz.