Steiger & Deschler GmbH Webereien, Ausrüstung
Ulm, Krumbach, Ravensburg, Blaustein
Chronik 1868 - 1999
Am 1. Januar 1868 gründen Johann Ulrich Steiger, Franz Xaver Schlaepfer und Albert Deschler die offene Handelsgesellschaft Steiger, Schlaepfer & Deschler in Ulm-Söflingen und knüpfen damit an die im Mittelalter berühmte, nach dem Dreißigjährigen Krieg 1648 jedoch unterbrochene Ulmer Webertradition an. Der Gesellschafter Schlaepfer scheidet nach kurzer Zeit wieder aus.
Die Produktion feiner Baumwollgewebe beginnt auf zehn mechanischen Webstühlen in den Räumen einer ehemaligen Drahtzieherei in Söflingen. Unternehmerisches Können, Energie und Weitsicht lassen den Betrieb rasch größer werden.
Wenige Jahre danach laufen bereits 100 Webstühle in einem Neubau, der auf dem Gelände der ehemaligen Dorfmühle errichtet worden war. Um die Rohgewebe in eigener Regie veredeln zu können, übernimmt Steiger & Deschler im Jahre 1888 die traditionsreiche, bislang vom Württembergischen Staat betriebene Kgl. Bleicherei, Färberei und Appreturanstalt Weißenau bei Ravensburg. Erste Kontakte nach Weißenau reichen zurück zu Johann Ulrich Steigers Vater, Hans-Ulrich Steiger, der auf dem Gelände bereits 1840 eine Weißwaren-Weberei eingerichtet hatte.
1907 erfährt das Unternehmen eine entscheidende Ausdehnung: die um die Jahrhundertwende von Johann Ulrich Steiger gegründete Weberei Johann Ulrich Steiger & Söhne oHG, Krumbach/Schwaben, wird mit der Steiger & Deschler oHG, Söflingen, vereinigt und gemäß Gesellschaftsvertrag vom 2. 2. 1907 in der Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung weitergeführt.
Eine andere Firmengründung von Johann Ulrich Steiger, sie seit 1909 betriebene Appreturanstalt Walther Steiger & Co., Burgrieden bei Laupheim, wird nicht in die Muttergesellschaft eingegliedert, sondern besteht als Bleicherei und Färberei für Kalikostoffe bis zur Mitte des Ersten Weltkriegs eigenständig weiter. Danach wird sie, wie in diesem Buch ausführlich beschrieben, von Johann Ulrich Steigers Sohn Walther in die Maschinenfabrik Walther Steiger & Co. umgewandelt (ab 1921 Steiger AG), die bis 1927 den „Steiger-Wagen“ herstellt.
Schon 1926 erkennt die Geschäftsführung die Bedeutung der Chemiefasern. Die Anzahl der Webstühle ist inzwischen auf 1.700 Einheiten angewachsen, bis der Zweite Weltkrieg die Expansion des Unternehmens unterbricht. Das Stammwerk brennt völlig nieder und ein großer Teil des Hauptbetriebes in Söflingen wird zerstört. Nach der Bombennacht des 17.12.1944 ruht der ganze Betrieb bis 1946.
Der Wiederaufbau erfolgt nach Kriegsende rasch und energisch. 1950 laufen wieder 1.000 Webstühle in zwei Schichten, die Zahl der Beschäftigten erreicht 1.200. In diesen Jahren erfährt die Bleicherei, Färberei und Appreturanstalt Weißenau einen großzügigen Ausbau nach modernsten Gesichtspunkten.
1951 beginnt die Steiger & Deschler GmbH als einer der ersten Betriebe in Deutschland mit der Verarbeitung von Perlon für modische Damenoberbekleidung und Wäsche.
1953 werden die Herren Walter Deschler, Walther Steiger junior und Robert Steiger junior, 1959 Kurt Deschler und 1963 Peter Deschler zu Geschäftsführern bestellt.
Die Webereineubauten sind 1956 mit einem modernen Komplex an der Einstein-Straße abgeschlossen; das Werk Weißenau nimmt eine ebenfalls in diesem Jahr fertiggestellte Film- und Rouleaux-Druckerei in Betrieb. Die Steiger & Deschler GmbH spezialisiert sich unter dem Markennamen „ulmia“ in zunehmendem Maß auf die Verarbeitung von Synthetics und erlangt nicht zuletzt dadurch eine ständig wachsende Bedeutung.
1961 wird die Interglas-Textil GmbH gegründet, deren Gesellschafter zu gleichen Teilen die Steiger & Deschler GmbH und die Burlington International AG sind.
Die wachsende Nachfrage auf allen Gebieten der Glasgewebe-Verarbeitung führt drei Jahre später zum Kauf von Grundstücken und Gebäuden einer Weberei in Klingenstein bei Ulm. Die gesamte Glasgewebe-Produktion rüstet die Bleicherei, Färberei und Appreturanstalt Weißenau aus, die sich auf diesem Sektor zu einem führenden Unternehmen entwickelt hat.
1968, im 100. Jahr des Bestehens, laufen insgesamt 1.100 Webstühle - fast ausschließlich in drei Schichten. Verarbeitet werden Polyester, Polyamid, Viscose, Wolle und Baumwolle; einen wesentlichen Anteil nehmen hierbei texturierte Garne ein. Die vier Betriebe beschäftigen nunmehr 1.650 Arbeitnehmer; der Jahresumsatz übersteigt 80 Millionen DM.
Mitte der 80er Jahre zieht sich die Familie Steiger aus der Firma zurück; auch die Familie Deschler scheidet teilweise aus. Der letzte verbleibende Familiengesellschafter, Walter Deschler, übernimmt nach und nach sämtliche Geschäftsanteile. Ende 1986 - das Unternehmen zählt noch immer zu den zehn größten Textilherstellern Deutschlands - werden die Firmen Steiger & Deschler GmbH und Interglas-Textil GmbH im Wege der Realteilung getrennt. Es bilden sich zwei unabhängige, in sich geschlossene Firmenkreise. Mitte 1989 gewinnt man die Gruppo Tessile Miroglio, Alba, Italien, als neue Teilhaber bei Steiger & Deschler. Miroglio erwirbt 51% der Geschäftsanteile und bestimmt von nun an die weitere Entwicklung des Ulmer Traditionsunternehmens.
Die Familie Walter Deschler hält ihre Mehrheitsanteile an der Interglas-Textil GmbH und wandelt die Firma 1989 in eine Aktiengesellschaft um (ab 1993 in enger Kooperation mit der amerikanischen Clark-Schwebel-Gruppe als CS-Interglas AG).
Der Standort Ulm wird stufenweise aufgegeben und bis Mitte 1996 endgültig verlassen. Die verbliebenen Geschäftsbereiche von Steiger & Deschler werden sämtlich nach Weißenau verlagert und unter Beibehaltung des bisherigen Markennamens „ulmia“ weitergeführt. Auf dem ehemaligen Betriebsgelände am Stammsitz in Ulm-Söflingen entsteht ein weitläufiger Wohnbezirk.
Nur die Straßenbezeichnung, das sogenannte „Weber-Viertel“, an die einst so erfolgreiche Geschichte der Textilfabrik zwischen Söflinger- Straße, Glockengasse und Einsteinstraße.