Die Geschichte eines Steigerwagen, der überlebt hat

von Eduard Knoll († 07.11.2002) 

 

Aufgenommen 1998 bei den Recherchen und Fototermin

Das heute in Privatbesitz befindliche Fahrzeug vom Typ 11/55 PS ist in einem sehr ordentlichen Zustand, jederzeit fahrbereit und behutsam restauriert. Der für die damalige Zeit schon luxuriöse Wagen mit langem Radstand (3250 mm) wurde in Ulm bei der Firma Neuer & Thieme als „Wechsel-Tourer“ mit abnehmbarem Verdeck karosseriert. Der Aufbau wurde im zeitgenössischen Standard ausgeführt mit verstellbarer Windschutzscheibe. Als Wetterschutz diente ein einfaches Klappverdeck, dazu gab es sechs in Leinen eingenähte Kunstglas Steckfenster. Sitze und Seitenteile mit Leder ausgeschlagen, der Boden holzbeplankt, mit geriffeltem Aluminiumblech verschalt. Das Fahrzeug verfügt über vier normale Sitze,  wobei die Beinfreiheit im Fond großzügig   gehalten wurde. Fahrer und Beifahrer waren durch eine Trennwand von den hinteren Passagieren getrennt. Die beiden Notsitze waren elegant im hinteren Teil der Abtrennung integriert und mit Ledertaschen abgedeckt. Das war eine optische Raffinesse: Einerseits wurden die Sitze für den Betrachter nicht mehr sichtbar, technisch fixierten die Ledertaschen die Sitze zusätzlich.

Als Sonderausstattung besitzt der Wagen einen „Limousinen-Aufsatz“. Dies erklärt den Begriff „abnehmbare Limousine“, wie sie in der Preisliste im Kapitel „Fahrzeugtypen und Merkmale“ aufgeführt wird. Von einem „Hardtop“ im heutigen Sinne kann keine Rede sein.

Hans Neuers Erfindung umfaßt eine komplett karosserierte Konstruktion, bestehend aus hölzernem Stellwerk mit Blechbeplankung. Das Dach wurde, wie damals üblich, teilweise mit Kunstleder überzogen. Sechs massive gläserne Steckfenster samt Rahmen konnten auf die Türen beziehungsweise im Fond aufgesetzt werden. Die Windschutzscheibe war im Aufsatz integriert. Die Innenausstattung war komplett mit Tuch überzogen, sogar Vorhänge für die Fenster gehörten dazu.

Der allererste Besitzer des Steiger-Wagens mit der Fahrgestell-Nr. 1660 konnte leider bis heute nicht ermittelt werden. Die Spur beginnt in Wildberg im Schwarzwald. Der von dort stammende Dr. Johannes Vesenmaier fuhr den  Wagen wohl die längste Zeit. Dabei kann man heute mit Sicherheit sagen, daß der Arzt den Wagen nie als offenen Tourer benützte, sondern immer mit dem sogenannten Limousinenaufsatz. Dafür spricht, daß die Tourer-Windschutzscheibe und das Faltverdeck nicht mehr aufzufinden waren. Ebenso verloren ging ein Ersatzmotor, den Dr. Vesenmaier wie einen Schatz hütete. Der Eigenwilligkeit dieses Mannes ist es wohl zu verdanken, daß das Fahrzeug bis in die 60er Jahre bekannt war, weil er damit regelmäßig seine Hausbesuche abhielt. Zeitzeugen berichteten, daß Dr. Vesenmaier im Juni 1960 zum letzten Mal mit seinem Wagen gesehen wurde, als er damit ins Krankenhaus nach Calw fuhr, dort stand für ihn selber eine Untersuchung an. Am 24. Juni 1960 verstarb Dr. Vesenmaier überraschend im Calwer Krankenhaus. Das nun vor der Klinik verwaiste Fahrzeug versuchte die Verwandtschaft des Arztes mit Hilfe eines Abschleppunternehmers wegzubringen, dabei blockierte unterwegs die Hinterachse. Daraufhin stellte man den Wagen vorübergehend an einer Tankstelle ab.

Ein Student mit dem Faible für alte Automobile entdeckte den Wagen und verhandelte mit der Familie, ob sie ihm den Wagen für 1.000,- DM überlassen würden. Was der arme Student nicht bedachte, daß seine Familie mit diesem Kauf überhaupt nicht einverstanden war, und die Mutter ihm das Geld versagte mit der Begründung, er solle sich gefälligst etwas „Gescheites“ kaufen. Die bereits getätigte Anzahlung von 100,- DM wurde von der resoluten Frau zurückgefordert.

Neuer Besitzer wurde der Automobilliebhaber Ulrich Jacoby aus Stuttgart. Sein Vater war Kommandant bei der Werksfeuerwehr von BASF in Ludwigshafen und sein Kommandowagen war ein Steiger gewesen. Aus gutem Grund war für ihn dieses Fahrzeug auch von persönlichem Interesse.

 

Motorraum des Steiger - Vergaserseite in Fahrtrichtung rechts  und- Auspuffseite in Fahrtrichtung links.

Eine Anekdote, von Herrn Jacoby erzählt: Ein paar Jahre nach dem Kauf des Steigers wurde ihm ein Tauschangebot unterbreitet. Er sollte seinen 11/55 PS Steiger gegen ein Mercedes 540 K B-Cabriolet, ein Erbstück des NS-Gauleiters Ritter aus München, tauschen. Wie man weiß, entschied er sich für den Steiger-Wagen, den er aber nach wenigen Jahren an den heutigen Besitzer weiter veräußerte. Offensichtlich ist diese nette Geschichte in der Veteranenszene bekannt, denn kurioser Weise, als der heutige Besitzer des Wagens 11/55 PS bei dem Besitzer eines amerikanischen Steiger anfragte, und sich für den Erwerb interessierte, antwortete der Händler, er wäre mit einem Tausch gegen einen Mercedes 540 K einverstanden. So ändern sich die Zeiten.

Bei dem zweiten Fahrzeug handelte es sich ebenfalls um einen Steiger-Tourenwagen.  Man nimmt an, daß der Wagen bereits vor dem Krieg nach Amerika exportiert worden ist. Mitte der 80er Jahre wußte man von der Existenz des Wagens als Teil einer privaten Autosammlung in Kalifornien. Es stellte sich heraus, daß der amerikanische Autoliebhaber aus Altersgründen sich von seiner Sammlung trennen musste, darunter war der Steiger. Er sollte aber nur im „Paket“ veräußert werden. Mit viel Mühe konnte ein deutscher Veteranensammler den Abschluß tätigen, und so wanderte ein Teil dieser Fahrzeuge nach Deutschland zurück. Auf den bereits vorliegenden Fotos war die Sache mit dem Steiger-Wagen wenig erfolg versprechend. Als der Wagen dann vor Ort begutachtet werden konnte, sah alles noch viel schlimmer aus. Die Karosserie ab der Spritzwand war nicht mehr vorhanden. Die Spitze des Kühlers nach innen gedrückt, allerdings war das Fahrwerk samt Motor und Getriebe relativ komplett, aber nicht funktionstüchtig. Der Wagen steht als „Scheunenfund“ im Automobilmuseum in Bad Oeynhausen und ist dort in dem beschriebenen Zustand zu besichtigen.

Nachtrag:

Eduard Knoll hat sehr zu dem gelingen des Steigerbuches 1999 beigetragen. Er war ein Freund und hatte immer Zeit und Interesse an meiner Arbeit. Leider ist Eduard Knoll an meinem Hochzeitstag, den 07. November 2002 verstorben.

 

Der Wagen wurde am 17.07.2018 an den Autor weiter gegeben.