Der Rennfahrer Kurt C. Volkhart berichtet:

Erschienen in einer Autozeitschrift der 20er Jahre:

Daß ein Rennwagen einen solchen Spitznamen hat, war wohl selten, und doch war er ein richtiger „Bulle“, mein treuer alter Steiger, der mich beim Eifelrennen 1924 beinahe zum Sieg gebracht hätte, wenn ja, wenn ich ihn nicht zu einer Dummheit veranlaßt hätte. Und das kam so:

Nach meinem Sieg im Gesamtklassement 1922 vertrauten mir die damals noch existierenden Steigerwerke ihren schnellsten und besten Wagen an, eben den „Bullen“, der gerade frisch überholt und mit kleinen Verbesserungen versehen worden war, nachdem er gut in der Targa Florio auf Sizilien durchgehalten hatte. Damals war das Nibeggener Eifelrennen wohl das schwerste Rennen Deutschlands, und mit Recht konnte es als die deutsche Targa Florio bezeichnet werden. Ich kam beizeiten in Nideggen an. Die Konkurrenz in meiner Klasse war kaum zu fürchten. Doch da war einer - heute ist er einer der bekanntesten deutschen Spitzenfahrer - , der auch damals schon wußte, „was eine Harke war“. Das war meine Konkurrenz. Am ersten Tage hatte er Pech, aber ich sah ihn fahren und wußte Bescheid. Wie üblich wurde in der Nacht vor dem Rennen alles noch mal genau nachkontrolliert - die Rennfahrer waren zu der Zeit noch nicht so „fein“ wie heute, wo man hübsch früh zu Bett geht und die Sorge um den Wagen und Maschine dem oder den Mechanikern überläßt -, und nachdem alles in Ordnung befunden wurde, legte man sich noch für ein paar Stunden schlafen. Das Rennen begann um 10 Uhr vormittags und ging erstmalig über 500 km, für diese Strecke eine ungeheure Leistung für Mann und Wagen. Wie schon im letzten Rennen, startete ich auch hier wieder als Letzter, was mir ganz lieb war und heute noch ist, denn dann weiß man ja, wen man noch vor sich hat. Eine ungeheure Menschenmenge umsäumte die 30 km lange Rundstrecke Kopf an Kopf.

Das Wetter war wechselnd, mal schien die Sonne, mal gingen leichte Regenschauer nieder, und ein rauher Wind fegte über die Höhen der Eifel. Gleich von Anfang an wurde „dran gezogen“, mein „Bulle“ heulte vergnügt sein etwas öliges Lied, aber er ging wie ein Rennpferd, das noch kurzgehalten wird. Mein Ersatzteilbestand befand sich auf der beim Ziel gegenüberliegenden Seite der Strecke, und ich hatte ausgemacht, bei der zweiten Runde dort zu halten und einige Reservereifen aufzunehmen. Schon in der ersten Runde holte ich die gesamte Konkurrenz meiner Klasse, es waren auch nur zwei, die in Frage kamen, aber ich war ja hinter edlerem Wilde her, das einen oder zwei Kilometer vor mir einherjagte, ausgerüstet mit Kompressor und Vierradbremse (ich leider nicht). Als ich in der zweiten Runde, wie verabredet, bei unserem Stand hielt, stürzte alles auf mich zu . . . „Mensch, Volkhart, Sie liegen schon sieben Sekunden vor allen, auch vor  Caracciola auf seinem Mercedes! Los, hauen Sie ab, er ist vielleicht noch fünfhundert Meter vor Ihnen .!“

Und nun ein Musterbeispiel, wie man es nicht machen soll! Ich ließ mich verführen, den Rat meiner Leute zu befolgen, anstatt in aller Ruhe mein Tempo durchzufahren, eine reine Spielerei für meinen Wagen. Der „Bulle“ heulte auf und schoß davon, daß der Dreck spritzte und die Steine flogen. Mein Ehrgeiz, bis dahin noch gebändigt, loderte auf. In scharfen, steilen Serpentinen ging es nun abwärts, und wie wir gerade aus dem letzten Waldstück herausfegten, brüllt mir mein Mechaniker ins Ohr: „. . . da, da hinten saust er gerade den Berg hinauf“, und richtig, ungefähr sechshundert Meter vor mir sehe ich auf der gegenüberliegenden Straße einen weißen Wagen den Berg hinaufjagen! Das war Öl in meinem Feuer. Aber ich hatte nicht mit des Geschickes Mächten gerechnet, die in wenigen Minuten die Hand nach mir ausstrecken sollten. Als Rennfahrer muß man eben mit allem rechnen, auch mit den kleinsten Regenschauern. In der vorletzten Haarnadelkurve an der sogenannten „Tanzlau“ hatte es wenige Minuten vorher geregnet, die Straße war noch feucht, der darauf lagernde Staub seifig. Ich merkte es zu spät, mein Tempo war zu scharf, beim Hineinziehen des Wagens in die Linkskurve fing er an zu „schieben“. Vor mir standen viele Menschen, hinter ihnen fiel das Gelände hundert und mehr Meter schräg nach unten ab gegen die Ruhr, die an Nibeggen vorbei fließt. Viel Auswahl hatte ich also nicht, und so tat ich das einzige, was ich tun konnte, ich riß meinen Wagen nach rechts heraus und landete unsanft an einem Felsstück, das glücklicherweise etwas bewachsen war. Aber o weh - die Vorderachse hatte diese Gewaltkur doch sehr übelgenommen, das rechte Vorderrad stand X-beinig nach hinten. Na, noch war Polen nicht verloren. Es war erst die dritte Runde, die gerade begann, also wenn man sich beeilte, konnte man es vielleicht noch schaffen. Es gelang mir, den Wagen in Nibeggen bis zu einer primitiven Schmiede zu bringen. Und nun ging es los! Räder runter, Achse raus und damit ins Schmiedefeuer. Im Nu war die kleine Schmiede mit zig Menschen angefüllt, von  denen jeder einzelne einen anderen guten Rat geben wollte. Zuerst wollte ich die Achse am Fahrzeug selbst mittels Schweißbrenner richten, aber leider flog die Verschraubung der Sauerstoffflasche ab und verschwand irgendwo. Das wäre alles noch nicht so schlimm gewesen, wenn nicht die vielen Menschen eine heillose Verwirrung angerichtet hätten. Und dann kam noch ein weiteres Pech hinzu: die Achse war warm, und ich spannte sie in einen Schraubstock, um sie zu richten. Hilfsbereit, wie die Menschen nun einmal sind, stürzten sich eine ganze Anzahl auf das freie Ende, um mitzuhelfen, sie geradezubiegen. Doch das machte der uralte Schraubstock nicht mit, es gab einen Krach, und er lag samt der in ihn eingespannten Achse am Boden.

Jetzt packte mich die Wut! Ich schmiß die Leute aus der Schmiede heraus, und nun ging es von neuem los. Immer und immer wieder hörte ich draußen Wagen vorbeiheulen. Ab und zu auch das höhnische Singen des gegnerischen Kompressors, aber Zähne zusammen, es mußte gelingen. Endlich war es soweit. Nach Augenmaß war die Achse so einigermaßen gerade. Noch warm wurde sie untergebaut, wobei wir uns nicht schlecht beim Anziehen der Bride-Muttern die Finger verbrannten. Noch warm, jagte ich mit ihr los, und wie . . . !

Wieviel Runden ich verloren hatte, ich wußte es nicht. Nur ein Gedanke beherrschte mich: durch rücksichtsloses Fahren einzuholen, was einzuholen war. Und nun zeigte der „Bulle“, daß er tatsächlich diesen Namen verdiente! Wir flogen durch die Kurven, schon von weitem sprangen die Menschen beiseite, wenn wir erschienen. Das rechte Vorderrad stand noch ein bißchen X-beinig da, aber das machte nichts. Entweder biegen oder brechen war die Parole. Wie ich zu meinem Ersatzteilstand kam, fiel meinen Leuten der Unterkiefer herunter: niemand hatte mehr im entferntesten daran geglaubt, daß ich das Rennen wieder aufnehmen würde. Ich erfuhr nun, daß ich vier Runden zurücklag - zwei Stunden hatte die Reparatur aufgehalten - : Ich wußte, daß ich diesen Verlust niemals würde aufholen können, aber versucht werden mußte es. Durch das scharfe Fahren fraß der „Bulle“ die Reifen, fast jede zweite Runde mußte ich wechseln, da die Straße inzwischen sehr aufgegriffen worden war. Des „Bullen“ Motor sang mit höchsten Touren, der langhubige Motor gab her, was er konnte, die Bremsen fingen an zu rauchen, ich fuhr wie toll, besessen darauf, wenigstens etwas von der verlorenen Zeit einzuholen. Der Rausch der Geschwindigkeit erfaßte mich, ich sprach laut mit dem Wagen, gab ihm Kosenamen, klopfte ihn aufs Steuerrad, und der Motor sang, treu und brav, nicht nachlassend. Mit jeder Runde wurde ich schneller. In der vorletzten gab es Rekord, doch dann wurde ich abgewunken, wir konnten es nicht mehr schaffen. - Von vier verlorenen Runden hatte ich drei wieder eingeholt und außerdem einen neuen - niemals auf dieser Strecke wieder gebrochenen - Rundenrekord aufgestellt. Es langte gerade noch zu einem Zweiten in meiner Klasse. Das war der „Bulle“.