Friedrich Nösel
Die Geschichte zu Herr Nösel habe ich bereits vor Jahren mit einer anderen Geschichte kombiniert. Die Eltern von Herrn Nösel hatten einen Steiger in dem er unter Aufsicht auch fahren durfte. Herr Nösel war in der 50er Jahren im Rennsport und hatte wie man so sagt Benzin im Blut. Herr Nösel besuchte mich im Mai 1994 in Laupheim mit seiner Lebensgefährtin Frau Thomalla. Siehe Bild rechts, aufgenommen bei der Besichtigung des Steigerwerks in Burgrieden. Als Begrüßungsgeschenk überreichte er mir den Zündschlüssel seines Steigers. Unter anderem brachte er mir das äußerst interessante Foto seines Großvaters mit. Ein Bild ist nicht Wert, wenn die Geschichte dazu fehlt. Aber Herr Nösel hat mir die Geschichte dazu mitgeteilt. Im Bild ist Friedrich Nösel als Kleinkind mit abgebildet, er sitzt mit seiner Mutter links in der Karosserie.
Carl Rohde - ein vergessener Pionier
Wie schon vor dem 1. Weltkrieg Karosserien hergestellt wurden, die aber von der Form und Technik eher in die 30er Jahre gehören! War Carl Rohde seiner Zeit 30 Jahre voraus?
Seit
vielen
Jahren arbeite ich an der Firmenchronik der Automobilfirma Steiger, dieses
interessante und einmalige Hobby hat es ermöglicht, daß ich einige bedeutende
Personen kennen gelernt habe, deren Geschichten und Erinnerungen fast noch
interessanter sind wie das eigentliche Thema, - die Recherche um die Firma
Steiger.
Durch
Vermittlung durch einen Steigerfreund habe ich Herrn Friedrich Nösel aus Darmstadt kennen gelernt. Anfang Mai 1994 besuchten mich Herr Nösel mit seiner Lebensgefährtin, nach der Besichtigung des
ehemaligen Steigerwerks und meines Archivs
erzählte mir Herr Nösel am Abend das interessante Leben seines Großvaters.
Neben der Tatsache, daß er sieben Jahre lang einen Steiger 10/50 PS gefahren hat ist die folgende
Geschichte in Ihrer Art sehr interessant und wertvoll. Hier sein Bericht:
Mein
Großvater Carl Rohde wurde am 27.8.1863 in einem kleinen Dorf in Mecklenburg,
was auf keiner Landkarte zu finden ist, als zweiter Sohn eines kleinen Bauern
geboren. Als er 1878 aus der Dorfschule entlassen wurde riet ihm sein Vater, das
Handwerk eines Stellmachers zu erlernen. Gleich nach Ostern 1878 versuchte er in
Güstrow eine Lehrstelle zu finden. Da dies nicht klappte hatte er in Hamburg
Erfolg. Nach bestandener Gesellenprüfung ging er, wie es damals üblich war auf
die Wanderschaft. Sie führte ihn immer nach Süden, aber 1885, er war gerade in
Hof tätig, beschloß er, den Heimweg anzutreten. Sein Marsch führte ihn über
Zwickau nach Glauchau. Dort fand er wieder Arbeit, sollte länger bleiben, aber
das Schicksal wollte es ganz anders. Er lernte eine junge Köchin kennen, sie
verliebten sich, sie wurde schwanger, er versprach ihr sie natürlich zu
heiraten und machte schnell seine Meisterprüfung. Er wollte sich selbständig
machen und man riet ihm als Standort die Stadt Meerane in Sachsen. Dort kaufte
er sich das Anwesen
„Im Rosental 26“. Dies war ein großes Grundstück mit Wohnhaus und
Remis. Seine Firma lies er eintragen als : „Carl Rohde - Stellmacherei und
Wagenbau“. Dann wurde geheiratet.
Ab
August 1887 baute er jede Art Bauernwagen, schwere Transportfahrzeuge, elegante
Landauer für Landärzte und andere reiche Leute.
Diese
Sätze muß ein Engel gehört haben! Viele Jahre gingen ins Land. Als am 2.
Advent 1911 der Erzähler dieses Berichtes gerade mal 3 Wochen alt war, erschien
dieser Engel. Gegen 11 Uhr klingelte es an der Zugschelle der Gartenpforte. Ein
dunkles offenes Auto und ein gut gekleideter Herr mit Ledermütze stehen hinter
dem Zaun. Der Herr stellte sich vor:
August
Horch, ich bin der Autofabrikant aus Zwickau.
In
der sogenannten guten Stube berichtete August Horch folgendes:
„Es
mehren sich die Anfragen nach Limousinen. Ich bin aber leider noch nicht in der
Lage, in
meinem erst 1909 in Betrieb genommenen neuen Werk diese geschlossenen Wagen zu
bauen, ich bin dazu noch nicht eingerichtet. Außerdem bin ich mit Heeresaufträgen
voll ausgelastet. Ich habe alle in Frage kommenden Handwerksbetriebe in Zwickau,
Werdau und Glauchau besucht, alle haben vermutlich Angst vor dieser neuen
Aufgabe. Sie sind meine letzte Hoffnung.“
August
Horch zeigte mitgebrachte Zeichnungen, mein Großvater kann sich natürlich
nicht sofort entscheiden, hat aber Interesse an dieser modernen Zukunftsarbeit.
Beide versprechen sich, im kommenden Februar weiter zu verhandeln.
Im
Februar 1912 kommt August Horch
mit einer dicken Mappe von Zeichnungen wieder. Die Aussprache geht
stundenlang bis man einig ist und der erste Auftrag bei einem Glas Rotwein und
per Handschlag besiegelt wird.
Es
wird noch ein Geselle eingestellt und die Arbeit beginnt. A. Horch kommt noch
zweimal kurz vorbei um zu sehen, wie die Arbeit voran kommt und Ende Mai 1912
meldet mein Carl Rohde: Der Wagen ist fertig !
Vor
der Überführung nach Zwickau kommt Herr Horch nochmals, geht mehrmals um die
erste Rohde-Karosserie herum, bleibt dann vor dem Wagen stehen, klopft mehrmals
Carl Rohde auf die Schultern und sagt euphorisch:
“
Was für eine großartige Idee - daß ich die nicht hatte !“.
Er
stand vor der ersten Panoramascheibe der Welt.
Vorgesehen
war eine senkrecht stehende einteilige Windschutzscheibe. Mein Großvater, Carl
Rohde war aber der Meinung, daß bei den damaligen Schotterstraßen und
zunehmender Motorisierung es viel Steinschlag geben würde und die Reparatur
einer so großen Scheibe umständlicher und viel teuere würde. Und wenn er die
Scheibe dreiteilig und winklig stellt, dann stellt er sie auch gleich noch schräg,
da wird der Wagen auch noch etwas schneller.
Wenn
Sie liebe Leser, in der Bildband „ Chrom, Lack und Leder“ von Rupert
Stuhllemmer
schauen,
dann sehen Sie auf Seite 63 Heinz Rühmann in einem Horch 8 Zyl. Type 870 oder
12 Zyl. Type 670. Beide Type hatten auf den Zentimeter genau dieselben
3- teligen schräggestellten Windschutzscheiben. Und das war 20 Jahre später.
Schauen
Sie die Karosserie genau an, keine Ecken und Kanten, alles Rund wie aus dem
Windkanal. Auch hier der gesamten Konkurrenz um Jahre voraus. Bertone baute
seine ersten zwei Karosserien 1921 ( lt. AMS 4/92) , in Deutschland begann 1922
die Firma Authenriet und andere, in Amerika baute Weymann ab 1926 die
Vollholzkarosserie und Rolls-Roys baute den Phantom von
1924
bis 1992 fast siebzig Jahre lang mit Vollholzkarosserie, dann wurde die
Produktion eingestellt ( Lt AMS 18/92). Insgesamt baute Carl Rohde 11 Karossen für
Audi, die letzte wurde im Oktober 1914 ausgeliefert, da war bereits Krieg.
Carl
Rohde stammte aus Ganschow bei Gustow, Post Gremmelin - Güstrow Land. Die
postalische Anschrift sagt fast alles. Er wußte nichts vom Windkanal,
Luftwiederstandswerten, Aerodynamik, Physik usw. Die meisten seiner Nachfolger
hatten Hochschulpraxis. Carl Rohde in Meerane/ Sachsen baute also bereits vor
dem 1. Weltkrieg die ersten eleganten Vollholzkarosserien mit der dreiteiligen
schräggestellten Windschutzscheibe, die erste Panoramascheibe der Welt!
In
den letzten Jahren wurde schon manches Lob über zum Teil ganz unbedeutende
Leute geschrieben und gesendet, selbst die Fachpresse hat Carl Rohde leider
vergessen. Ich hole das hiermit nach.
Zu seiner Beerdigung am 2.7.1930 fuhr ich mit meiner Familie in einem 10/50 PS Steiger Sportwagen. Ich bin Stolz auf meinen Großvater.
Friedrich Nöse