Pressetext von Michael Schick

100 Jahre Steiger Automobilbau Burgrieden

 

„Es war eine Zeit wo man noch Autos bauen konnte, einfach so,

und seinen Namen an den Kühler schrauben

und das Produkt an den Mann bringen

und es siegreiche Rennen fahren lassen konnte.“

So schrieb es der Motorjournalist und Museumsbesitzer aus Wolfegg, Fritz B. Busch im Vorwort zum Steigerbuch 1999.

Am 02. und 03. August 2019 werden es nun 100 Jahre, dass in Burgrieden, es ist eine Landgemeinde unweit von Laupheim entfernt, das erste Auto der Firma Steiger gebaut wurde. An diesem Samstag und Sonntag im Sommer 1919 wurde das bedeutende Ereignis fotografisch auf Glasplatten festgehalten. Die Ingenieure stehen stolz und lässig an den Prototypen, Mechaniker sind am Montieren. Am Auto ist bereits das rote Testkennzeichen IIIY-01 montiert.  

Am darauffolgenden Sonntag wurde eine weitere Fotoaufnahme gefertigt. Am Steuer sitzt Walther Steiger, links von Ihm, der technische Kopf des Teams, Ingenieur Paul Henze. Auf dem Beifahrersitz Ingenieur Schmidt, hinter dem Auto steht der Vater von Walther Steiger, Johann Ulrich. Er ist Inhaber der Ulmer Weberei Steiger & Deschler. Neben Johann Ulrich Steiger steht der ältere Sohn Ulrich Steiger.

Der erste Weltkrieg war erst kurz vorbei, als im Steigerwerk wieder die Produktion aufgenommen wurde. Im Krieg war der Betrieb von der Heeresverwaltung zur Produktion vom Bomben und Granatenzündern verpflichtet worden. Zeitgleich wurden Flugzeuge instandgesetzt. Ingenieur Paul Henze war mit dieser Aufgabe betraut. Nach dem verlorenen Krieg ist er noch eine Weile in Burgrieden geblieben, und machte das was er konnte, er baute Autos.

Eigentlich war der Betrieb von Walther Steiger für die weitere Verarbeitung von Textilstoffen vorgesehen. Ob man unmittelbar nach dem Krieg in diesem Produktionszweig wieder aktiv war, ist nicht bekannt. Dem Firmeninhaber Walther Steiger mit Paul Henze und seinen Beratern war bewusst, dass ein schlummerndes Kapital in Form von Facharbeitern, Metallverarbeitungsmaschinen und schließlich großen Produktionsstätten auf ein neues Einsatzgebiet warteten.

Es ist zu mutmaßen, dass der solvente Ulmer Webereibesitzer Johann Ulrich Steiger den Betrieb mit einer Starthilfe unterstützte. Die Bedingungen für die Autoproduktion waren in einem guten Licht. Für die Kommunikation stand Steiger bereits eines der ersten Telefone zur Verfügung. Mit der Laupheimer Telefonnummer 2 war der Betrieb in Burgrieden erreichbar, Nummer 1 war die Post. Wenige Jahre zuvor wurde mitten durch den Ort die neue Bahnlinie von Laupheim bis nach Schwendi gebaut. Der Ort erhielt einen Bahnhof und eine dazugehörige Bahnhofswirtschaft. Über die Eisenbahn Nebenstrecke Laupheim-Schwendi war Burgrieden an das öffentliche Eisenbahnnetz angeschlossen. Mit der Bahnlinie wurde auch die Telefonverbindung nach Burgrieden verlegt. Über die Bahnverbindung kamen dann in der Blütezeit täglich mehrere hundert Arbeiter mit dem Zug nach Burgrieden. Der Bahnhof lag nur wenige hundert Meter vom Betrieb entfernt. Auch liegt der Betrieb am Fluss Rot. Walther Steiger hatte die Wasserrechte und konnte über die Turbinen seine Maschinen antreiben. Elektrische Generatoren versorgten das Werk und Teile der Gemeinde mit Strom.

Die Nachricht, dass in Burgrieden beim Steiger nun Autos gebaut werden, hatte sicher als technischer Hype für Begeisterung gesorgt. Ein Auto um 1919 auf der Straße zu sehen, war ein Ereignis, welches sicher in der Familie und unter Freunden erzählt wurde. Vielleicht zählten die Kinder die entdeckten Motorkutschen.

Die ersten Steigerwagen hatten viele Kinderkrankheiten. Einige dieser technischen Probleme hätte Paul Henze mit einer Neukonstruktion des Motors leicht beheben können. Stattdessen wurde am ersten Konzept stur festgehalten. Erst als Paul Henze nach dem Aufenthalt bei Steiger zu Simson nach Suhl wechselte, entschied er sich zu einer Neukonstruktion. Der Motor des Simson-Supra ist eigentlich ein weiter entwickelter Steigermotor.

Der erste Steigermotor muss erheblich mit der Kühlung Probleme gehabt haben. In einer Bildfolge aus dem Nachlass des Ingenieurs Fritz Koch sind technische Details am Motor sichtbar. Und die ursprünglich eingesparte Wasserpumpe und der Kühlerlüfter waren schließlich zur Pflicht geworden.

Die Tatsache, dass der Motor eine Königswelle und eine obenliegende Nockenwelle mit hängenden Ventilen hat, ist bis heute eine technische Besonderheit. Solche Konstruktionen waren in Autofahrerkreisen von besonderem Interesse.

Auch wurde 1921 der hufeisenförmige Kühler durch einen wesentlich größeren Kühler mit markantem Design ersetzt. Hans Neuer war der Schöpfer des neuen Erscheinungsbildes. Die nun angebotenen Steiger-Fahrzeuge boten der Konkurrenz Paroli. Steiger war ein erfolgreicher Teilnehmer an Autorennen und oft wurden die Steigerwagen von Werksfahrern und privaten Rennfahrern zum Sieg gesteuert.

Als 1926 das „Aus“ für die Firma kam, war es eben dieser Steigervirus bzw. der hervorragende Ruf von der Steiger AG in der Branche, welcher vielen gekündigten Mitarbeitern die Pforte in andere Betriebe öffnete. Wer ein Zeugnis vom Steiger hatte, wurde in anderen Betrieben stets eingestellt.

Viele ehemalige Mitarbeiter schafften den Weg in die Selbstständigkeit. Einige Betriebe gibt es heute noch und werden nun meist in der dritten Generation weitergeführt. Das Steigerwerk in Burgrieden war ein Musterbeispiel für den schwäbischen Erfinder- und Unternehmergeist. Große Firmen, welche wir alle beim Namen kennen, ob sie nun Krane und Bagger bauen, Öl- und Gasbrenner herstellen oder Normalien und Handwerkzeuge herstellen, haben Ihren Sitz im Oberschwäbischen. Hier lebt der Erfinder- und Unternehmergeist heute noch weiter.

Viele Faktoren führten dazu, dass der Betrieb 1926 aufhören musste. Die betrügerische Art eines Hauptaktionärs, welcher zuvor investiertes Geld zurück forderte kostete den Betrieb viel. Der Kadi sprach für Steiger, aber es war zu spät. Auch das Produkt, der Steigerwagen war veraltet und viel zu teuer. Die Ingenieure hatten es nicht geschafft einen moderneren Motor zu entwickeln und hielten an der ursprünglichen Konstruktion von Paul Henze fest. Hier wurden nur die konstruktiven Mängel nach und nach behoben und der Motor wurde optimiert, eine Neukonstruktion war aber überfällig.

Dass in der kleinen Landgemeinde Burgrieden Autos gebaut werden, löste bei den Mitarbeitern und Bewohnern einen Stolz aus, welcher über Jahrzehnte, jetzt sogar über Jahrhunderte anhält. Beim Steiger zu arbeiten war nicht nur ein guter Arbeitsplatz, sondern ein Geschenk. Ein Geschenk, dass man an dieser einmaligen Autogeschichte teilnehmen durfte. Leider sind die Stimmen der begeisterten Arbeiterschaft nun alle verstummt. Ich hatte noch verschiedene Gelegenheiten, ehemalige Mitarbeiter zu befragen, und sie haben mich angesteckt mit dem Virus, mit dem „Steigervirus“.

Der Karosseriebauer Hans Neuer, welcher sich mit Karl Thieme in Ulm selbständig machte, machte mit seinen zeitgenössischen Karosserien wieder einiges wett. Jedoch war der Steiger gegenüber dem Vergleichsmodell von Mercedes, dem Typ Mannheim, um ein Drittel des Preises teurer. 

Nach dem Aus der Firma im Jahr 1926 wanderte Walther Steiger mit seiner Familie in die Westschweiz aus. Beim dortigen Automobilhersteller MARTINI hatte er schon zuvor die Aktienmehrheit erworben. Nichts lag näher als den in der Bransche bedeutenden Namen STEIGER wieder aufleben zu lassen. „Der Steiger“ war längst in der Autobranche zu einer bekannten Marke emporgestiegen, so wurde der neu entwickelte Martiniwagen als „Martini - der Steiger“ beworben. Die Martini Konstruktionen differierten aber deutlich vom schwäbischen Steiger. Hans Neuer war hier wieder im Boot und gab der Schweizer Konstruktion ein modernes Gewand – es half nichts. Der Wagen war zu teuer und die Konkurrenz war bereits technisch voraus. So wurde die Produktion dort nach wenigen Jahren ganz eingestellt.

Heute erinnert nur noch das ehemalige Steigerwerk mitten in Burgrieden an die einst so blühende Autoproduktion. Wer noch einen Hauch der Autofabrik spüren will, kann die Ausstellung des Historischen Vereins in Burgrieden besichtigen. In Laupheim ist einer der letzten Steigerwagen im Oldi-Laden in der Bronner-Straße zu bestaunen. Hier sind auch die Bücher zur Autofabrik erhältlich. Wer nur digital unterwegs ist, der sollte bei der Homepage www.dersteiger.de halt machen. Hier sind alle bislang erforschten Informationen veröffentlicht.