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Pressebericht in der Ulmer Südwest-Presse

Pressebericht in der Schwäbischen Zeitung

Mit dem Steiger nach Ulm,

wo er vor 95 Jahren karosseriert wurde.

„Ich fahr mal mit dem Auto nach Ulm.“


Dieser Satz ist ja nichts Besonderes und das tun viele tausend Fahrer mit ihren Blechkisten heute täglich. Jedoch war ich heute am 19. August 2020 mit meinem 95 Jahre alten Steigerwagen mit Familie und Freunden in Ulm.

 

Der Wagen wurde vor Antritt der Fahrt technisch durchgeprüft, Luftdruck geprüft, die Radschrauben auf festen Sitz gecheckt. Öl passt, Wasser auch und Sprit ist auch genug im Tank. Beleuchtung und Bremsen funktionieren auch wie vorgesehen. So kann es losgehen, nach dem Warmlaufen, kann die Zündung auf normal gestellt werden und der Steiger hat nur die ersten Meter Fehlzündungen, so sind alle wach und wissen, wir sind auf der Straße.

 

Mit dieser kleinen Reise in die Vergangenheit werden mehrere Wünsche, sozusagen im Laufschritt erfüllt.

 

Der lange Wunsch den Wagen an die Stätte zurück zu bringen wo er karosseriert wurde, ist so alt wie ich den Steiger habe. Zumal diese Stätte unweit von meinem jetzigen Arbeitsplatz entfernt ist. So wurde der Wunsch auch von der zuständigen Hausverwaltung mit Freuden geteilt, damit wird ein Stück Hausgeschichte lebendig.

 

Weiter ist da ein guter Freund, Gerhard, der auch weis wie der Fotoapparat zu bedienen ist. Er freut sich, wenn er meinem Fond Platz nehmen darf. Es ist immer gut, geeignete kräftige Passagiere dabei zu haben, die es im Notfall schaffen 1,7 Tonnen zu schieben und im Pannenfall wissen was zu tun ist. Für Gerhard war es sicher ein Höhepunkt in seiner Autofahrer-Karriere.

 

Meine Tochter Julia wäre tief erschüttert, wenn sie nicht an meiner Seite im Steiger platznehmen darf. Sie kennt sich mit der Technik bereits recht gut aus und bedient die Anhaltekelle mit der Aufschrift "Steiger - bitte halt" und die Auspuffklappe, welche mittels Fußpedal bedient wird recht gut.

 

Die Anfahrt nach Ulm war für den Steiger kein Problem, der Wagen fühlt sich wohl auf der Straße und mit knapp 70 km/h auf der Landstraße ist die Fahrt ein wahres Vergnügen. Der Motor arbeitet bei geöffneter Auspuffklappe kraftvoll und kündigt sich mit tiefen Röhren an. Lediglich nach ca. 10 gefahrenen Kilometern wurden die Zündkerzen kontrolliert und etwas nachjustiert. So waren die gelegentlichen Zündaussetzer auf dem 2. Zylinder behoben.

 

Fährt man mit dem Steiger in eine Ortschaft im vierten Gang hinein und reduziert die Geschwindigkeit durch herunterschalten, so muss technisch bedingt Zwischengas gegeben werden. Auch bei geschlossener Auspuffklappe werden die Personen am Straßenrand aufmerksam. Drei Liter Hubraum in einem Auto aus 1925er haben ihren eigenen Sound.

 

Wir hatten noch mit einem weiteren Freund, versprochen ihn in seiner Heimat Ulm eine Runde durch die Stadt zu fahren. In Ulm-Söflingen wurden wir Herr Eugen Heisch und seiner Schwester, festlich erwartet. Die Söflinger Fahne stand vor dem Haus mit Erfrischungen und einer kleinen Stärkung.

 

Nachdem wir in die Wohnstraße eingefahren waren und gewendet hatten, waren die ersten daheim gebliebenen Nachbarn im Garten und an den Fenstern.

 

Dem Steiger zu ehren präsentierte Herr Heisch seinen mattschwarz glänzenden Zylinderhut, wohl auch aus den 1925er wie der Steiger. Auch hier ist gefühlt ein Jahreshöhepunkt der Gefühle erreicht.

 

Zusammen mit den zwei Herren im Fond und der Tochter auf dem Beifahrersitz geht es durch Söflingen. Eine extra Runde mit der Straßenbahnschleife, bis uns alle gesehen und gehört haben. Es geht weiter in die Weststadt. In der Wagnerstraße zwischen den Gebäudefronten meldet sich der alte Steiger tief grollend mit geöffneter Auspuffklappe zurück.

 

Wenige hundert Meter später ist das Hauptziel erreicht. Die Söflinger-Straße 100, das "alte Röhrenwerk", hier bekam der Steiger sein Blechkleid angepasst.

 

Heute sind in dem Gebäudekomplex in der Söflinger-Straße, mehrere dutzend Betriebe und die Kriminalpolizei untergebracht. Bei der Kriminalpolizei ist der Fahrer des Steigers beschäftigt und hat sein Büro gerade mal 100 Meter von dem Ort entfernt wo sein Auto karossiert wurde. Jeweils an den vier Einstiegen in den Wagen, prangt ein golden poliertes Messingblech mit dem Schriftzug der Firma „NEUER & THIEME“ dem Fahrgast entgegen.

 

Ulm und Neu-Ulm spielten eine zentrale Rolle im Fahrzeugbau der Burgriedener Autofabrik. In der Kanonierstraße in Neu-Ulm war die eigene Karosseriefabrik der Autofirma Steiger. Parallel war auch in Biberach ein Betrieb welcher Karosserieteile herstellte. Jedoch war die Qualität des eigenen Betriebes nicht so gut wie die von Hans Neuer und Ernst Thieme gebauten Karosserien. So wurden viele Chassis vom Steigerwerk in Burgrieden nach Ulm-Söflingen zu Neuer & Thieme geliefert um diese dort zu karosserieren.

 

Im Jahr 1925 wurde ein Werbefoto von Neuer & Thieme im Innenhof vor der Betriebsstätte gefertigt. Dieses Foto wurde heute nach 95 Jahren an selber Stelle mit dem letzten in dieser Art existierenden Steiger 11/55 PS Limousine nachgestellt. Die Fensterteilung, Friese und Laibungen sind noch wie damals, nur eben der Schriftzug „ULMER KAROSSERIEFABRIK NEUER & THIEME“ wurde übermalt.

 

Nachdem im Jahr 1926 die Firma Steiger aufgelöst wurde, musste auch Neuer & Thieme 1928 mangels Aufträge aufgeben. Der Betrieb wurde damals von Karl Kässbohrer übernommen. Der junge Karl Kässbohrer hatte volle Auftragsbücher und Ideen, jedoch zu wenig Personal und Inventar. So wurde die Übernahme von Neuer & Thieme für Kässbohrer wie ein Sprungbrett. 1937 übernahm dann Kässbohrer auch den Karosseriebetrieb Mattes & Würtz in Ulm.

 

Die jüngeren von ihnen ziehen sodann das Smartphon heraus und zeichnen die Szene aus dem Jahr 1925 digital auf. Im „alten Röhrenwerk“ in Söflingen war bereits der Parkplatz geräumt für den Steiger. Dutzende Mitarbeiter der umliegenden Betriebe verfolgten die Show im Innenhof. Ein paarmal hin- und her rangieren dann steht der fünf Meter lange Steiger am alten Platz.

 

Auch mehrere Freunde waren zu dem Termin angereist. Teilweise bis aus 100 km Entfernung, das war das Event wert.

 

Mehrere Fotografen und auch ein Filmteam halten die Szene digital fest. Damals war es nur eine schwarz/weiß Plattenkamera, aber diese Bilder existieren heute noch in herausragender Qualität.

 

Nach dem Fotoshooting wurde die Fahrt in die Ulmer Innenstadt fortgesetzt. Die vielen roten Ampeln bereiten dem Wagen etwas Stress, die Temperatur steigt und das ständige Anfahren schlaucht den 95-jährigen. Aber er macht seine Arbeit gut und rollt brav durch Ulm. Viele strahlende Gesichter, wildes Winken und dutzende nach oben gestellten Daumen sind der Applaus für den Auftritt in Ulm. Nächstes Etappenziel war der Weinhof in der Innenstadt.

 

Ein weiterer autobegeisterte Freund, Rabbi Shneur Trebnik erwartete uns vor der Synagoge und freute sich auf eine kurze Tour durch die Innenstadt.

 

Mittlerweile ist es Mittagszeit und weitere Freunde warten auf uns im Ulmer Museums-Café. So war nun auch meine liebe Frau mit unserem Freund Bernhard nachgefolgt. Die Gastronomie ist gut gewählt, zwischen Museums-Café und Rathaus erwartet uns der kleine abgesperrte Platz, welcher eigentlich für die sonntäglichen Paradekonzerte bereitgehalten wird. Ein perfekter Paradeparkplatz für den alten Wagen. Quer auf den Platz gestellt ergibt sie eine Bild wie in einem Outdoor Automuseum. Die ersten Touristen zücken die Fotoapparate als der Motor noch läuft. Unter ständiger Aufsicht auf den Steiger konnte das Mittagsmahl in strahlender Sonne genossen werden.

 

Die Abfahrt mit dem Steiger vom Paradeplatz wurde mit Applaus von Touristen begleitet. Es geht nur wenige hundert Meter weiter. Durch den Innenhof des „Neuen-Baus“, der Hauptsitz der Ulmer Polizei, geht es auf den Münsterplatz.  Im Augenblich der Durchfahrt erklingen ungewohnte Motorengeräusche für die anwesenden Kollegen.

 

Auf dem Münsterplatz, wo gerade der Wochenmarkt abgebaut wurde war der Steiger wenige Minuten der Höhepunkt bei den vorbeiziehenden Touristen. Gleich stellen sich welche in Pose und machen Selfies mit dem Steiger und dem Münster. So ist es kaum möglich Fotos von den Wagen ohne Personen zu machen.

 

Gegen 15 Uhr machen wir uns nun wieder zu viert im Auto auf die Heimfahrt. Nach 40-Minütiger Rückfahrt steht der Steiger wieder in Laupheim an seinem Showplatz in der Bronner-Straße im Oldi-Laden.


Michael Schick 19.08.2020

 

Danke an die Fotografen:

Gerhard Baum, Volkmar Könneke SWP-Ulm und Julia Schick

 

 



























































 

 

 

 

 

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